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Bendir Man singt in Tunesien (Yasmina Hedider)

 

Inamo 80 Winter 2014

Vor-revolutionäre Klänge in Tunesien:

Bendir Man singt im Bendirland

 

Von Yasmina Hedider

Lange Jahre war es in Tunesien undenkbar, die politische, soziale oder wirtschaftliche Situation im Land zu kritisieren bzw. die Ben-Ali-Diktatur, die sich 23 Jahre lang halten konnte, in Frage zu stellen. Und während im staatlichen Fernsehen und auf den pompösen Festivals regimetreue Künstler Lobeshymnen dichteten, in denen Ben Ali und seine Regierung mit ihren unzähligen Errungenschaften gepriesen wurden, sprach (u.a.) der 29-jährige Künstler Bayram Kilani alias „Bendir Man“ laut aus, was viele Tunesier insgeheim dachten und nicht auszusprechen wagten. So spiegeln die Themen, die sich in seinen Texten wiederfinden, aktuelle Ereignisse, Gedanken und Gefühle derer wider, die am meisten unter der Diktatur leiden mussten. Gerade deswegen war und ist er so beliebt bei seinen Fans, und je beliebter er bei ihnen wurde, desto unbeliebter machte er sich bei der Regierung. 

Sein Pseudonym „Bendir Man“ deutet zum einen durch den Zusatz „-man“ auf eine Art Superheld à la „Superman“ hin; zum anderen kommt das arabische Wort „Bendir“ dazu, welches eine Art Tamburin bezeichnet und woraus im tunesischen Dialekt das Verb „tbandir“ sprich „Tamburin spielen“ abgeleitet wird. Im Sprachgebrauch bedeutet „tbandir“ jedoch „jmd. Schmeicheln“ oder umgangssprachlich „schleimen“, und so verwandelt sich der Superheld durch diese Wortkombination prompt in einen Antihelden. Und genau dies bezweckt Bayram, denn die Figur wird in einen hautengen, lilafarbenen Anzug gesteckt und in unvorteilhaften Posen dargestellt, die nichts Heldenhaftes mehr an sich haben. Zudem schafft er der Figur ihre eigene Welt, „Bendirland“, in der sie ihr einzig wahres Lebensziel verfolgt : „Bendir Man sucht die Antwort auf die existentielle Frage, die sich jeder Bewohner Bendirlands zumindest einmal in seinem Leben gestellt hat: Existieren auch andere Farben außer der Farbe Lila??? Und wenn ja, warum ist das die einzig sichtbare Farbe in diesem Land?“ Später heißt es: „Ab einer bestimmten Uhrzeit und in bestimmten Bars munkelt man, dass es auch andere Farben außer Lila gäbe. Unzulässige Wörterbücher, die unter der Hand verkauft werden, behaupten, dass der Plural von „Farbe“ existiere und geben sogar einige Beispiele.“ Hier wird die Tatsache ins Lächerliche gezogen, dass die Farbe Lila, die Farbe der Partei Ben Alis (RCD), omnipräsent war: Von lilafarbenen Krawatten und Halstüchern bis hin zu lilafarbenen Accessoires in Fernsehstudios und sogar das lilafarbene Logo des staatlichen Senders (TV7) – ein ganzes Land in Lila geschmückt.

Obwohl Bayram diese Parallelwelt „Bendirland“ schafft, wo die Handlungen letztendlich spielen, so hat ihn dies trotzdem nicht vor der Zensur bewahrt. Man konnte weder seine CDs legal erwerben noch seine Musik in der Öffentlichkeit hören, geschweige denn Auftritte von ihm organisieren. Sein Haus wurde bewacht, sein Handy abgehört und er selbst wurde Dutzende Male von Sicherheitsleuten festgenommen und geschlagen. Dies hat ihn jedoch nicht davon abgehalten, Konzerte im Ausland zu geben wie beispielsweise in Europa, in den USA und in Kanada. Seine Fans in Tunesien haben natürlich Mittel und Wege gefunden, die Zensur zu umgehen und seine Songs trotz allem zu hören.

Bendir Mans Texte sind fast alle politisch engagiert, tragen einen satirischen Charakter und sind sehr humorvoll geschrieben. Eine Ausnahme stellt der Titel „Rdayef“ dar, der den Einwohnern der gleichnamigen Stadt gewidmet ist, die 2008 bereits gegen Armut und Arbeitslosigkeit revoltiert hatten und deren Aufstand von den Sicherheitsleuten brutal niedergeschlagen wurde. Andere Titel von ihm kritisieren Künstler, die sich um ihrer Karriere Willen hinter die Ben-Ali-Politik stellten und ihn und seine Partei bei ihren Auftritten in den Himmel lobten. Mit seinem Song „Ammar“ macht sich Bendir Man wiederum über die Zensur im Lande lustig und in „99%“, zieht er die stets utopischen Wahlergebnisse und die abwegigen Wahlversprechen Ben Alis ins Lächerliche. Ein weiteres Beispiel für seine Kritik am politischen System ist der Titel „Système“, den Bayram kurz nach der Revolution zu Gunsten der Ereignisse umgedichtet hat. 

Durch die besondere Mischung aus Ernst und Komik, mit der Bayram an die Ereignisse herangeht und jegliche Tabus bricht, konnte er das furchteinflößende Bild, welches die Öffentlichkeit von Ben Ali hatte, wenn auch nicht gänzlich zerstören, so immerhin beschädigen. Und zumindest für die Dauer seiner Songs hat er erreicht, eine Witzfigur aus Ben Ali und seinem Regime machen. Nach der Revolution hat Bendir Man zwar seine Maske und seinen albernen Anzug abgelegt, der satirische Ton jedoch ist derselbe geblieben.

 

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